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Zwischen Bären und Rentieren auf dem Wonderland Trail

Aktualisiert: 22. Juni



So backpacking - is it fun?“ fragt mich die Grenzbeamtin. Da ich noch nicht ahne, was vor mir liegt, bin ich ehrlich: „depends on the weather, but usually it is a lot of fun“. Sie schaut mich weiterhin skeptisch an, drückt mir aber gleichzeitig meine Aufenthaltsbestätigung in die Hand.


USA USA: Ab zu den Simpsons

Die erste Hürde, über den Landweg von Kanada in die USA einzureisen, hab ich schon mal überwunden. Und bin wieder einmal froh, den „richtigen“ Pass und die „richtige“ Hautfarbe zu haben, um in fast jedes Land ohne Probleme einreisen zu können. Vor mir ist ein Student aus der Türkei, der vor kurzem wohl seine Familie in der Heimat besucht hat und nicht so willkommen ist in den USA. Erstmal muss er auf einen anderen Grenzbeamten warten und sich dann einigen Fragen stellen.

Keine 2 Meilen nach dem Grenzposten sehe ich dann das erste von so einigen „Make America Great Again 2024“ Poster am Straßenrand. Are you kidding me? Jeder macht ja mal Fehler, aber den gleichen Fehler ein zweites Mal machen?



Der Wonderland Trail im Mount Rainer Nationalpark

Doch zurück zum Wonderland Trail. Den 153km bzw. 93 Meilen langen Wanderweg, der einmal um den Mount Rainier führt, hab ich spontan 2 Wochen vorher im Internet entdeckt. Da es hier sogenannte Walk-Up Permits gibt, die man auch relativ spontan ergattern kann und nicht wie in Kanada schon Monate im voraus buchen muss, kann ich die Wanderung Ende August starten.


Liebevoll würde ich den Wonderland Trail in Rentier Trail umbenennen. Etwa 80% der anderen Wanderer, die ich unterwegs treffe, sind über 60. Die rüstigen Rentner sind meist in größeren Gruppen unterwegs, vielleicht ist der Rentier Trail das Pendant zu unseren Kaffeefahrten? Nur das man hier ein Ultraleichtzelt und -Rucksack kauft anstatt Heizdecken?


So ganz ohne ist der Trail aber nicht, denn man muss seine komplette Ausrüstung mit sich rumschleppen. Hütten wie ich sie aus den Alpen kenne, gibt es hier nämlich nicht. Am ersten Tag ächze ich daher ziemlich, als ich meinen Rucksack aufsetze: Zelt und Co. plus Essen für 8 Tage machen das Ding ganz schön schwer. Wie machen die Rentiere das nur?

Doch das schöne ist, dass der Rucksack jeden Tag leichter wird und schon am zweiten Tag tu ich mir deutlich leichter, mein Essen aufzuhängen. Das ist notwendig, da es hier in Washington tatsächlich noch Bären gibt, die eine sehr gute Nase haben. Ob sie allerdings mit meinem Couscous für 8 Tage (ok, es hätte auch für 11 Tage gereicht, aber man weiß ja nie) so viel anfangen können, wage ich zu bezweifeln.


Einem Bären begegne ich in den 8 Tagen, der rennt aber wie ein Verrückter von mir weg. Vielleicht weiß er, dass ich keinen Honig und nur langweiligen Couscous dabei habe. Ansonsten seh ich neben den Rentieren einiges an Tieren: Murmeltiere sitzen ganz cool am Wegesrand und starren mich an, dicke Eichhörnchen und Streifenhörnchen haben es vor allem auf meine Nüsse abgesehen und einmal vermute ich einen Cougar neben meinem Zelt. Mein Geschrei und meine Spotify Rock Classics Playlist schrecken ihn aber zum Glück ab und ich sehe ihn nicht wieder. Ansonsten kreuzen Eulen, Rehe, Bergziegen und eine kleine Schlange meine Wege.




Mount Rainier & Mount Rainer Nationalpark


Der mit 4.394m höchste Berg in Washington ist unter anderem auch unter dem Namen Tahoma bekannt und gilt aufgrund seiner Gefahr, irgendwann in der Zukunft auszubrechen, als einer der gefährlichsten Vulkane weltweit. Dennoch ist er auf meiner Liste an 4.000ern, die ich irgendwann mal besteigen möchte. Auf dem Wonderland Trail sieht man Mount Rainer theoretisch von allen Seiten. In der Praxis hat man Glück, wenn man ihn überhaupt mal ohne Wolken sieht. Wenn man ihn zu Gesicht bekommt (ich hatte ziemlich viel Glück), ist er aber umso beeindruckender. Seit ich auf La Palma gelebt habe und sehen konnte, was so ein kleiner Vulkan anrichten kann, sind Vulkane irgendwie nochmal was anderes für mich als nur ein Berg. Noch gibt es zudem 26 Gletscher auf dem Berg. Mount Rainier sieht man hier übrigens auch ziemlich häufig beim Autofahren, da er auf dem Kennzeichen von Washington angebracht ist. Von Einheimischen wird er auch nur "der Berg" genannt.


Der Mount Rainer Nationalpark ist einer der ältesten Nationalparks der USA, der bereits 1899 gegründet wurde. Nationalparks in den USA sind in den meisten Fällen (leider) nur mit dem Auto erreichbar und mit einer Eintrittsgebühr verbunden. Dafür gibt es vor Ort Ranger, die sich um die Natur und Wanderer kümmern. Vor allem um deren Kacke. Unterwegs treffe ich einen Ranger, der einen komischen Rucksack dabei hat. Ich frage ihn daher, ob er damit Wanderer rettet. Nicht ganz, er hat die ehrenvolle Aufgabe, die vollen Kanister neben dem Plumpsklo zu entsorgen. Was bedeutet, die Kanister auf seinem Rücken zum nächsten Parkplatz zu schleppen. Ich danke ihm und frage mich, welche Wette er wohl verloren hat.




Meine Trailangels

Viel hab ich bereits gelesen über die sogenannte Trailmagic und Trailangels auf den Wanderwegen in den USA. Das sind kleine Zufälle und Begegnungen, die einen großen Einfluss haben können. In Erinnerung behalten werde ich vor allem meine Trailangels, die mich mit Essen und Unterkunft versorgt haben. Ein frischer Salat und Eis nach 4 Tagen in der Wildnis zusammen mit Sean aus Toronto, der mir beides 5 Minuten vor Ladenschluss ergattert, was kann es besseres geben? Oder eine ungeplante Unterkunft in einer kleinen Hütte, sodass mein längster Tag statt 32km nur 24km lang ist? Und ein unvergessliches Dessert am letzten Abend meiner Wanderung, das Ronda & Nel Lisa mit mir teilen? Ich kann es nur empfehlen, diese Magie selbst mal auszuprobieren. Der Wonderland Trail bleibt sicherlich nicht mein letzter "Thru-Hike'", wie man die erfolgreiche Durchwanderung einer Route hier nennt. Auch wenn meine Füße und vor allem Zehennägel erstmal eine kleine Pause und neue Einlagen gebrauchen können.




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